Die offizielle Säuleneröffnung

Die offizielle Säuleneröffnung

Performance und Veröffentlichung der Stuckmarmorsäulen der Stuttgarter Künstler Leon Dürnay und Niclas Funk, welche im Sommer 2018 im großen Saal der HuMBase entstanden und permanent dort installiert sind. Gekoppelt an eine Lesung aus den beiden unabhängigen Publikationen, die jeweils zu einer der Säulen entstanden, wurden diese am 26. November 2018 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

 

Performance and public presentation of two stucco marble columns which are permanently installed in the mainhall of the HuMBase by stuttgart based artists Leon Dürnay and Niclas Funk. Combined with a reading from two publications, each produced for one of the columns, they were presented to the public for the first time.

 

… und trafen sich 2 schwansinnige *
junge Männer im Vacuum
des ehemals Neuapostolischen Gotteshauses
unter dem Chor – und Orgelboden
– kein Lobpreis
– Halelujah aus keinen Kehlen mehr
– kein Weihe – und kein Opferrauch mehr dort,
der keines Gottes Gnade mehr zu finden trachtet,
wie, ach so folgenschwer dereinst …
Heute raucht und eint
schon auch nicht mehr
die Menschen über alle Grenzen,
als zarter Stängel glimmt profan
die Cigarette.
Und sahen diese 2 wackeren Männer
2 dürre Säulen den Chorboden tragen –
da ergab das Eine des Anderen
das Andere des Einen
Gips sollte Marmor werden,
der Marmor möchte Cigarette –
und die Cigarette wollte Säule sein,
verholfen nur durch Farbe –
voilà ein Bild!
*Bezug und Dank an Christian Morgenstern

Enno Lehmann, 2018
1. Vorsitzender des Stuck Art n.e.V.

 

Rauch–Säulen

Nichts ist, wie es scheint. Die Zigarette, von deren Asche Rauch aufsteigt, ist eine Säule. So wenig echt wie Asche oder Rauch ist der Marmorglanz. Nicht aus Stein sind diese Zigaretten gebildet, die Säulen sind. Es ist das Imitat echten Marmors: Stuckmarmor, den schon die antiken Baumeister kannten und der in der Architektur des Barock seine Renaissance erlebte. In jener Zeit war es üblich, jedes Bild- oder Bauwerk auf den ihm innewohnenden Sinn zu befragen. Es galt als zentrale Aufgabe jeder Kunst und jeden Künstlers, nicht nur an die Gefühle des Publikums zu appellieren, sondern auch unterhaltsam und lehrreich zu sein. Architektur und Kunst galten als stumme Sprache. Ihre Botschaften wurden verstanden und bieten einen Referenzpunkt auch für die Zigarettenrauch-Säulen im einstigen Gotteshaus. Wie die Säulen in den Kirchen des Barock lassen sich auch diese als Tugendsymbol lesen. Denn seit alters her waren Säulen ein Sinnbild der Standfestigkeit (constantia) und als solches beispielsweise in der Porträtkunst allgegenwärtig. Die Doppelsäulen in einer Kirche waren und sind aber auch ein Verweis auf die im Alten Testament überlieferte Beschreibung des Tempels Salomo (1 Kön 7,21), vor dem einst zwei Monumentalsäulen standen. Die Doppelsäulen sind aber auch als die bei Gibraltar lokalisierten Säulen des Herkules lesbar. Der hatte sie, dem griechischen Dichter Pindar zufolge, mit der Inschrift „Nicht mehr weiter“ am Ausgang des Mittelmeers errichtet, um das Ende der Welt zu markieren. Nicht nur auf das Ende der Welt, sondern auch auf das Ende eines jeden Menschen verweist der Rauch. Der aufsteigende Rauch ist die visuelle Metapher für die Flüchtigkeit alles Irdischen, das die Bibel im Buch Kohelet des Alten Testaments auf eine griffige Formel bringt (Koh 1,2): „Es ist alles eitel“ – „Vanitas vanitatum“. Der Kirchenraum im Zusammenspiel mit den stuckmarmornen Rauchsäulen eröffnet aber auch noch andere Deutungen. Der aufsteigende Rauch ruft die Erinnerung an das Brandopfer von Kain und Abel auf (1. Mose 4,1–16). Der Bauer Kain brachte einen Teil seiner Ernte dar, der Viehzüchter Abel weiht Gott die erstgeborenen Lämmer oder Zicklein seiner Herde. Während der Rauch vom Opfer Abels schön und senkrecht aufstieg, verwehte der Rauch von Kains Opfer: „Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer; aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.“ Das alte Testament lässt den Rauch sogar zum Sinnbild des HERRN werden (2. Mose 19,18): „Der ganze Berg Sinai aber rauchte, darum dass der HERR herab auf den Berg fuhr mit Feuer; und sein Rauch ging auf wie ein Rauch vom Ofen, dass der ganze Berg sehr bebte.“ Und nicht nur der zürnende Gott hüllt sich in Rauch, auch der helfende (2. Mose 13,21): „Und der HERR zog vor ihnen her, des Tages in einer Wolkensäule, dass er den rechten Weg führte, und des Nachts in einer Feuersäule, dass er ihnen leuchtete, zu reisen Tag und Nacht.“ All das klingt an in dem Säulenpaar, dessen Zweizahl auch als Referenz auf die zwei Naturen Christi als Gott und Mensch zu lesen ist. Die beiden Rauch-Säulen im Kirchenraum sind aber nicht nur als anspielungsreiche Referenz auf die Welt des Wissens und des Glaubens lesbar, sondern auch als künstlerische Arbeiten, die mit der Ästhetik des Materials und des Ortes spielen. Niclas Funk und Leon Dürnay haben mit ihnen einen sprechenden Ort besetzt und zeigen auf kluge Weise, was Kunst kann. Denn gute Kunst lehrt einen, Dinge, die man zu kennen glaubte, mit anderen Augen sehen.

Prof. Dr. Nils Büttner, 2018
Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte in der Fachgruppe Kunstwissenschaften-Restaurierung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

 

 

 

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